Oktober 2022

Heuschrecken und Käfer – bedeutende Sommernahrung für den Weißstorch

Ein Bericht von Olaf Kühnapfel und Paul-Walter Löhr

Ein Weißstorch in einer grünen Wiese, von links oben ragt Laub ins Bild.

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes war der Sommer 2022 mit 820 Sonnenstunden und einer Durchschnittstemperatur von 19,2 Grad einer der wärmsten seit 1880 und mit nur 145 l Regen pro Quadratmeter der sechsttrockenste Sommer. Vor allem in Hessen war die Dürre groß. So lag die Niederschlagsmenge in Grünberg (Landkreis Gießen) laut HLNUG zwischen dem 01.06. und dem 31.08.2022 bei 52,8 mm. 

 

Von Juli bis August hielten sich bis zu 20 Weißstörche rund um das Seenbachtal auf und schliefen über mehrere Wochen auf den Flutlichtern des Sportplatzes in Grünberg-Lardenbach am Fuße des Vogelsberges. Tagsüber konnten die Störche bei der Nahrungssuche auf den Wiesen und Weiden zwischen Stockhausen und Freienseen beobachtet werden. 

 

Am Schlafplatz fanden sich weit über 100 Speiballen der Weißstörche, die Aufschluss geben konnten über die Nahrungszusammensetzung der Störche. Ergänzt wurde die Untersuchung durch die Analyse von Speiballen eines Brutpaares in Mücke. Dessen Jungvögel im Juli auf dem Horst von einem Storch getötet wurden. 

Die Speiballen waren auffällig rotbraun gefärbt, was bereits auf einen hohen Insektenanteil an der Nahrung schließen ließ. Die Speiballen wurden in Wasser oder Alkohol gelöst und die erkennbaren Bruchstücke und Haarbüschel unter Zuhilfenahme von Sieben und eines Binokulars ausgelesen.  

 

In den Speiballen fanden sich Flügeldecken, Kopfschilde, Köpfe und Beine von über 20 Käferarten. Darunter neun Laufkäferarten, fünf Rüsselkäferarten, zwei Arten Aaskäfer, Schnellkäfer, Mistkäfer und Balkenschröter. Den Großteil der Speiballen machten in den meisten Gewöllen neben Pflanzenresten kleine im Magen des Storches zermahlende und von der Magensäure aufgelöste Bruchstücke von Heuschrecken aus. Die Beißwerkzeuge (Mandibeln) waren gut erhalten, seltener auch Beinfragmente, Köpfe oder Oberkörper.

 

Die Anzahl der Käfer, die sich über die Flügelfragmente und vor allem die Köpfe abschätzen ließ, war von Gewölle zu Gewölle sehr verschieden.

Aufsicht auf die feinsäuberlich sortierten Insektenteile aus den Speiballen. Die Insektenteile sind in rechteckige Felder sortiert.
Insektenteile in 16g Speiballen: v.l.n.r.: Flügeldecken und andere Käferteile, Mandibeln von Heuschrecken, Heuschreckeneier, darunter Teile von Beinen, Heuschrecken Köpfe und Thoraxe; o.r. Haarbüschel von Kleinsäugern.
Ebenfalls auf rechteckigen Feldern sortiert weitere Insektenteile aus einem anderen Speiballen.
Insektenteile in einem 18g Speiballen: v.l.n.r.: Käfer-Flügeldecken, Körper von Rüsselkäfern, Käferköpfe, Halsschilde, Beinteile von Käfern; ganz rechts Mandibeln von Heuschrecken; o.r.: Eier von Heuschrecken und ein Steinchen.

In einem 26 g Gewölle fanden sich 259 Käferköpfe, in einem 16 g Speiballen waren die Reste von etwa 10 Käfer nachweisbar, aber gleichzeitig fanden sich 730 Mandibeln von Heuschrecken. Gleiches gilt für die Anzahl der Heuschrecken, die über das Auszählen der Mandibeln annähernd ermittelt werden konnten. So fanden sich in einem 16 g schweren Gewölle 730 Mandibeln, in einem 5 g Gewölle 570 Mandibeln. Teils waren die Mandibeln aber so klein, dass viele sicherlich nicht aussortiert werden konnten. Auch Reste von Ohrenkneifern konnten vereinzelt nachgewiesen werden.

Nur selten fanden sich kleine Büschel von Kleinsäugerhaaren. Erd- oder Sandanteile, die auf ein Aufnehmen von Regenwürmern schließen lassen, konnten nicht festgestellt werden.

 

Zusätzlich wurden die Störche bei der Nahrungssuche durch ein Spektiv beobachtet. Die erfolgreichen Zugriffe pro fünf Minuten Nahrungssuche wurden für verschiedene Störche gezählt. Ein erfolgreicher Zugriff wurde festgestellt, wenn der Störche eine Nahrungspartikel ergreift, in den Schnabel wirft und verschluckt.

Links ein Balkendiagramm, das die erfolgreichen Zugriffe pro 5 Minuten (y-Achse) gegen 12 Datensätze (x-Achse) zeigt. Der Median (35) ist als waagrechte Linie eingezeichnet. Die Balken werden von links nach rechts größer. Rechts ein fressender Weißstorch.
Effektivität der Nahrungssuche von Weißstörchen auf einer Mahdwiese

Diskussion

Auf den trockenen Wiesen standen Regenwürmer den Störchen nicht zur Verfügung, da die Würmer tagsüber die oberen, sehr trockenen und warmen Bodenschichten wohl meiden. Die Mäusedichte auf den Nahrungsflächen war ebenfalls sehr gering, sodass den Störchen fast nur Insekten als Energielieferanten zur Verfügung standen.  

Davon ausgehend, dass die mittelgroßen Grashüpfer der Gattung Chorthippus, von denen sechs Arten auf den Wiesen nachgewiesen werden konnten, im Durchschnitt 0,2 g wiegen und der Storch 500–700 g Nahrung am Tag benötigt, müsste jeder Storch 2500 -3500 Heuschrecken am Tag fressen. Bezieht man die Erkenntnisse der erfolgreichen Zugriffe auf Nahrung/5min mit ein (Median 35), dann zeigen diese Ergebnisse, dass die Störche der Stichprobe alle 8,5 Sekunden erfolgreich waren. Bei dieser Erfolgsquote müssten die Störche pro Tag mindestens 6 - 8 Stunden ununterbrochen Nahrung suchen. Sollten sie die größere Sumpfschrecke (Stethophyma grossum), die ebenfalls auf den Wiesen nachgewiesen werden konnte, erbeuten, reduziert sich der Zeitaufwand.

 

Zu beachten ist hierbei, dass der energetische Gehalt von Arthropoden laut Lakeberg, H. (1995): (Zur Nahrungsökologie des Weißstorches Ciconia ciconia in Oberschwaben: Raum-Zeit-Nutzungsmuster, Nestlingsentwicklung und Territorialverhalten. – Ökologie der Vögel 17 (Sonderheft): 1.87.) oftmals unterschätzt wird. Viele Insekten hätten einen relativ großen Fettkörper, der bei der Verstoffwechslung mehr Energie freisetzt als Proteine von Säugern oder Amphibien es tun.    

 

Eine Maus als Beute könnte den Zeitaufwand der Nahrungssuche aufgrund ihres Gewichts dennoch deutlich reduzieren.  Mäuse gab es im Untersuchungsgebiet aber kaum. 

 

Ohne Mäuse oder Amphibien scheint es den Störchen allein wegen des Zeitaufwandes nicht möglich, Jungvögel großzuziehen. 

 

Die Ergebnisse zeigen, wie groß die Bedeutung von Insekten – insbesondere Heuschrecken und Käfern – für die Ernährung der Störche in Dürrezeiten ist. Es wird aber auch deutlich, dass ohne Zugriff auf Mäuse, Regenwürmer, Amphibien oder Fische, eine Aufzucht von Jungvögeln unmöglich erscheint.  

 

Olaf Kühnapfel und Paul-Walter Löhr, Oktober 2022

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